Wer war Jesus?

todo: Quellenangaben fehlen.

Apokalyptische Weltsicht

Zur Zeit Jesu war die apokalyptische Weltsicht weit verbreitet.
Diese Weltsicht beinhaltet folgende 4 Merkmale:
1. Dualistische Weltsicht  - es gibt gute und böse Mächte in der nicht sichtbaren Welt
2. Katastrophe - Das Chaos in der Welt wird noch schlimmer, es kommt eine Katastrophe.
3. Naherwartung - Die Katastrophe (und die göttliche Rettung) wird zu Lebzeiten passieren
4. Es gibt ein Endgericht

All das wird den auserwählten Gläubigen, welche Gott wahrhaft nachfolgen, offenbart, oder enthüllt.
Das Wort Apo-kalypse bedeutet "Ent-schleierung"

Erläuterungen findet man z.B.
https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/themenkapitel-nt/apokalyptik-und-nt/
oder bei Bart Ehrmann, "How Jesus became God", ab S. 98

Daher hier nur ganz kurz stichpunktartig:

1. Johannes der Täufer war Apokalyptiker. Jesus war sein Jünger.

2. Die frühesten Teile der Evangelien, also solche, die in der Logienquelle Q und gleichzeitig in Markus vorkommen, haben alle apokalyptischen Inhalt.
z.B.
Markus 13:
Jesus verkündet eine kosmische Katastrophe, während dessen der "wie eines Menschen Sohn" (aus dem Buch Daniel) erscheint, und das wird noch zu Lebezeiten dieser Generation passieren.

Lukas 17 / Matth. 24:
der Menschensohn wird wie ein Blitz erscheinen, und es wird wie in den Tagen Noahs sein, als die Katastrophe überraschend kam.

Matth. 13
So wie auf dem Feld das Unkraut verbrennt wird, werden die Bösen verbrannt werden. Die Gerechten werden das Königreich erben.

Lukas 21:
Seid allzeit bereit, vor den Ereignissen zu fliehen, und in der Gegenwart des Menschensohnes zu stehen.

Matth. 24  - 25 Haltet Wache - das Endgericht kommt

Diese Verse sind nicht willkürlich herausgepickt, sondern weil sie so alt sind, und weil sie nicht ganz in die ansonsten vorherrschende Theologie der Evangelien passen. Dass sie trotzem in die Evangelien aufgenommen wurden, spricht dafür, dass sie eine bedeutende Rolle in der mündlichen Überlieferung gespielt haben müssen.

3. Die frühesten nach-österlichen Texte sind von Paulus. Paulus selber war im apokalyptischen Denken verwurzelt. Er glaubte, daß Jesus zu seinen Lebzeiten kommen würde.
Wenn Jesus als Nachfolger von Johannes dem Täufer angefangen hat, und die ersten Christen, darunter Paulus, auch Apokalyptiker waren, dann liegt es nahe, dass auch Jesus Apokalyptiker war.

4. Von Jesus selber gibt es einige überlieferte Worte, wo Jesus erst von sich spricht, dann vom Menschensohn - als ob das 2 verschiedene Personen seien.
z.B. Markus 8,38

Dieses Bild von Jesus ist denke ich eine begründete Vermutung, die eine eine plausible Erklärung für die entsprechenden Texte im NT liefert.

Aber was ist mit den ganzen anderen Bibelstellen, die dieser apokalyptischen Interpretation entgegenstehen?
z.B. ganz am Anfang seines Dienstes bezeugt Jesus, dass er die Schrift erfüllt (Lk 4,17-21) und interessanterweise hört er aber bei der Lesung von Jes 61 bei Vers 2a auf, obwohl der folgende Text auf eine gute Zeit der Israeliten hindeutet. Der zweite Text ab Vers 3 hätte eher zu einem „Israel Retter“ gepasst, aber das erwähnt er nicht, weil es auf eine spätere Zeit hindeutet. Johannes der Täufer weist auf ihn, als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, nicht als Austreiber der Römer. Dann findet man die Ankündigungen in Lukas, die davon redet, dass Jesus, Gottes Sohn ist (Lk 1,35), „der Heiland (Erlöser) geboren“ (Lk 2,11), „deinen Heiland gesehen“ (Lk 2,30).

Das ist genau die Theologie, die Lukas vermitteln will. Lukas tut das offensichtlich sehr eloquent und mit großem Erfolg.
Aber auch Lukas muss mit der Tatsache leben, dass Jesus ein Jünger von Johannes dem Täufer war, und der war Apokalyptiker.
In Lukas 3, Predigt Johannes des Täufers, findet man die Ankündigung der kommenden unheilvollen Geschehnisse, Aufruf zur Buße, Ankündigung des Gerichts, Naherwartung:

V7 der kommende Zorn
V8 Bringt also Früchte, die der Umkehr entsprechen!
V9 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird gefällt und ins Feuer geworfen. (Das Gericht ist schon am beginnen, die Bösen werden vernichtet)

V17 Der Richter: In seiner Hand ist die Wurfschaufel; er wird seine Tenne säubern und den Weizen in seine Scheune einbringen, die Spreu aber wird er verbrennen in einem Feuer, das nie erlischt.

In der Vorstellung der ersten Christen wurde Jesus dann zu dem in Daniel vorhergesagten Menschensohn.

Die Jünger und ersten Christen hofften, dass Jesus in ihrer Zeit wiederkommen würde,
Das ist apokalyptisches Gedankengut.

Das Schimpfen Jesu gegen die Pharisäer spricht auch dafür, dass Jesus Apokalyptiker war. Die Pharisäer teilten die Naherwartung nicht.

Lebensgeschichte Jesu

Jesus war also am Anfang Nachfolger von Johannes dem Täufer, und sehr wahrscheinlich auch Apokalyptiker.
Zumindest anfänglich sah sich Jesus überhaupt nicht in der Rolle eines göttlichen Retters "Wie der Sohn eines Menschen" (Vision im Buch Daniel) oder als Messias.
Er hat aber, wie Johannes der Täufer, geglaubt, dass man die Ankunft dieses Retters beschleunigen kann, in dem man Buße tut und umkehrt.

Als Jesus dann seinen eigenen Predigerdienst aufgemacht hat, sah Jesus für sich zumindest eine Führer-Rolle. Und seine Jünger haben ihn darin bestärkt.
Diese Rolle war darauf ausgerichtet, die Römer wieder loszuwerden.
Der Einzug in Jerusalem war vielleicht der erste Versuch, eine Revolution anzuzetteln. Die Stimmung war sowieso aufgeheizt, gerade zum Passahfest.
Leider ist das dann abrupt im Desaster geendet.

Das Vermächtnis Jesu

Die Vorstellung, das Jesus der versprochene Menschensohn oder der Messias sei, der die Römer vertreiben könnte, war damit zerstört.
Aber wie das so ist - Revolutionäre tun sich schwer damit, ihren Lebenstraum aufzugeben. Die Jünger versuchten, in der ganzen Geschichte mit der Kreuzigung irgendwie einen größeren Sinn zu erkennen, einen göttlichen Plan, der vielleicht nur noch nicht ganz offenbar war.
Sie hofften, dass Jesus bald wiederkommen würde, um die Aufrichtung des neuen jüdischen Reiches zu vollenden. Petrus wollte am Anfang nichts davon wissen, dass Jesus für die Heiden gekommen war. Die Naherwartung von Jesu Wiederkunft ist auch bei Paulus manchmal zu erkennen.
Das zerschlug sich dann aber, als die erste Generation der Christen starb, und die Juden keine große Begeisterung zeigten, sich der Jesus-Sekte anzuschließen. So wandelte sich dann die Vorstellung des neuen Reiches, in ein geistliches Reich, das nicht nur die Juden umfasste.
Und auch die Naherwartung von Jesu Wiederkunft wurde in die Zukunft verschoben. In dieser Zeit entstanden auch die Evangelien.

Jesus und die Evangelien

Natürlich findet man in den Evangelien jede Menge Worte, wo Jesus ein himmliches Reich errichten will, kein irdisches.
Ich glaube aber nicht, dass diese Worte direkt von Jesus sind. Sie spiegeln vielmehr das theologische Verständnis der Evangelienschreiber wieder.
Man erkennt ja auch innerhalb der Evangelien eine Weiterentwicklung der Theologie. Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung ist das Johannesevangelium, welches sich wie eine Predigtsammlung liest. Ich glaube, dass keine einzige dieser Predigten von Jesus selber stammt. Vielleicht einzelne Gedanken - aber die theologischen Aussagen haben sich allesamt erst nach Jesu Tod entwickelt.

Hier zeigt sich ein unterschiedliches Verständnis des neuen Testamentes.
Evangelikale Christen glauben, dass alles genau so passiert ist, wie es da steht.
Ich glaube, dass die Briefe und Evangelien theologische Motivationsschriften sind, welche die Christen in ihrem Glauben bestätigen sollten. Dazu haben sich die Evangelienschreiber durchaus die Freiheit genommen, die wenigen Lebensstationen und überlieferten Aussagen Jesu so zu benutzen, dass sie den neuen Glauben unterstützen. So oder ähnlich könnte Jesus es ja gesagt haben...

Woher kommt meine Skepsis gegenüber den Schilderungen der Evangelienschreiber?

1. Sie waren nicht der neutralen Objektivität verpflichtet. Es gibt genügend Texte im NT, wo man den Evangelienschreibern allein durch innerbiblische Vergleiche schon faktische Fehler und Parteilichkeit nachweisen kann, die eine Agenda haben. Einige Beispiele haben ich in anderen Posts erwähnt.
Bei den allermeisten NT-Texten lassen sich solche Vorfälle nicht nachweisen, weil wir einfach keine geeigneten Vergleichsquellen haben. Die vorhandenen Vorfälle reichen mir aber schon, um auch beim Rest misstrauisch zu sein.

2. Viele der Vorhersagen (Prophezeiungen, wenn man will) über Jesus und die Christen im NT haben sich einfach nicht erfüllt.
Jesus ist nicht wiedergekommen.
Die Christen tun keine Wunder, die noch größer als Jesu Wunder sind
Jesus erhört auch keine Gebete (abgesehen von den trivialen Gebeten, die auch von jeder anderen Gottheit erhört werden können)
Das himmlische Reich ist leider auch nie gekommen, anstatt haben wir eine römische Staatsreligion bekommen, und nach dem Schisma die katholisch-orthodoxe und die östlich-orthodoxe Kirche.
Die Christen im Lauf der Jahrhunderte verhalten sich im Allgemeinen keineswegs so, wie es Jesus in der Bergpredigt und den Seligpreisungen fordert. Ausnahmen bestätigen die Regel.

3. Die ganze Weltsicht, auf der die Evangelien beruhen, erklärt die Welt nicht befriedigend.
Naturkatastrophen und Krankheit kam nicht durch den Sündenfall in die Welt, sondern es liegt an der Instabilität unserer fragilen Erdkruste, an der zerstörerischen Kraft des Wetters, und an der immer weitergehenden Evolution von Wirten und Schmarotzern (Bakterien und Viren)
Die egoistische Seite des Menschen ist Teil unserer genetischen Austattung - genauso wie die altruistische Seite.
Die Figur des Teufels ist der Versuch, diese potentiell unschönen Seiten unseres menschlichen Charakters zu externalisieren - mit den bekannten schrecklichen Folgen, auch innerhalb des Christentums.

4. In den apokryphen Evangelien werden die unglaublichsten Wundergeschichten erzählt, und auch theologisch "häretische" Positionen vertreten. Diese Evangelien haben es u.a. deshalb nicht ins NT geschafft, weil sich die "orthodoxen" Positionen durchgesetzt haben. Aus meiner Sicht sind aber sowohl die 4 biblischen als auch die apokryphen Evangelien mit der selben Absicht geschrieben - um die eigene theologische Position zu unterstützen. Beiden muss man mit der selben gesunden Skepsis begegnen.

5. Im AT und NT findet man viele mythologische Elemente, die auch aus anderen Religionen bekannt sind.
Götterhimmel, Schöpfungsgeschichten, Strafe Gottes, Gottessöhne, Jungfrauengeburt, Wunderheilungen, Erscheinungen, Auferstehungen, Himmelfahrten, dämonische Wesen, Engel, Teufel, etc. etc. - das ist alles nichts exklusiv christliches.
In anderen Religionen würde man das heute sofort als unaufgeklärte, mythologische Weltsicht beurteilen. Aus meiner Sicht ist das Christentum eine Weiterentwicklung dieser vorwissenschaftlichen Weltsicht.

In der Tat, ich erkenne die biblischen Geschichten nicht eins zu eins als historische Tatsache an. Aber nicht, weil ich das willkürlich so entschieden habe. Sondern weil die Indizien im biblischen Text das nahelegen. Und die Indizien ernst zu nehmen, dass kann man denke ich schon als historisch korrekte Vorgehensweise beschreiben. Ich nehme das Neue Testament sehr ernst. So ernst, dass ich auch die unverständlichen und widersprüchlichen Teile verstehen will. Im Grunde genommen versuche ich nur, den Text, die Autoren und die Textentstehung besser zu verstehen.

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