Ist die historisch-kritische Methode neutral?

Historisch-kritische Methode, Bibelwissenschaft
Die historisch-kritische Methode arbeitet im Prinzip wissenschaftlich. d.h. die Bibelwissenschaftler hinterfragen sich gegenseitig, und bestehende Erkenntnisse werden verbessert.

Ist das eine legitime Methode, die Bibel zu verstehen?
Ich denke ja. Wer die wissenschaftliche Methode ganz grundsätzlich in Frage stellt als geeignetes Mittel, die Bibel zu verstehen, der verzichtet auf die Möglichkeit von nachvollziehbaren und (soweit wie möglich) validierten Erkenntnissen.

Wie kann man überhaupt zuverlässiges Wissen gewinnen?
Dazu habe ich einige Beiträge geschrieben:
 https://erkenntnisgewinne.blogspot.com/search/label/Wissen


Hier eine viel ausführlichere Beschreibung der historisch-kritischen Methode, als ich es je schreiben könnte:
https://de.wikipedia.org/wiki/Historisch-kritische_Methode

Die deutsche Seite zur Bibelwissenschaft:
https://www.bibelwissenschaft.de/startseite/

Es gibt viele Theologen, die tiefe Einblicke in die Fakten haben, die trotzdem die Schrift als Gottes Wort und ihre Glaubwürdigkeit anerkennen.
Das ist wie in jeder Wissenschaft. Es wird immer eine Minderheit von Experten geben, die anderer Meinung sind. Das ist beim Klimawandel so, beim Alter der Erde, bei der Evolution, etc. etc. usw. usw. - bei allen Themen, die man sich denken kann.

Gerade bei Themen, die viel Expertenwissen fordern, ist es praktisch unmöglich, sich wirklich bis ins letzte Detail einzuarbeiten - außer man widmet sein Leben diesem Spezialgebiet.
Ich kann also auch nicht mit letzter Sicherheit beweisen, dass meine Überzeugungen richtig sind. Ich kann nur sagen, daß diese Überzeugungen, mit dem Wissen und der Vernunft, die ich zu Verfügung habe, am plausibelsten sind.
Die Herausforderung ist also - welchen Experten glaube ich, und wie treffe ich diese Auswahl möglichst unvoreingenommen. Keine einfache Aufgabe.
Ich liege bestimmt auch nicht in allem richtig. Ich weiß nur leider nicht, wo ich falsch liege :-)


Der Vorwurf an die historisch-kritische Methode lautet, dass sie z.B. Wunder und göttliche Offenbarung von vorneherein ausschließt, und deswegen nicht neutral, sondern ideologisch sei.

Wikipedia sagt dazu:

https://de.wikipedia.org/wiki/Historisch-kritische_Methode#Kritik_an_der_historisch-kritischen_Methode

Kleine Verteidigung der historisch-kritischen Methode

Hier 6 Vorwürfe zur Arbeitsmethode (aus Wikipedia):
  1. Ausblenden der Inspirationsvorstellung
  2. Aufspalten der biblischen Botschaft in eine Vielzahl (bloß menschlicher) „Theologien“
  3. Umdrehen der Reihenfolge von Vorhersage und Erfüllung
  4. übernatürliche Faktoren (z. B. Wunder oder göttliche Prophetie) kommen nicht in Betracht. 
  5. überwiegend skeptische Einschätzung der Historizität einzelner biblischer Berichte.
  6. Da die Rekonstruktion der Vorgeschichte eines schriftlichen Textes stark auf Vermutungen angewiesen ist, entsteht eine „Theologie des Vermutens“

Diese Vorwürfe stimmen, die historisch-kritische Methode arbeitet tatsächlich so.

Diese Arbeitsmethoden haben sich aber nicht entwickelt, weil die Theologen von vorneherein davon ausgingen, dass es Wunder etc. nicht gibt.

Sie haben sich aus dem Text selber, und aus der Beobachtung der Religionen entwickelt.
Das will ich in den folgenden Absätzen belegen:


1. Inspirationsvorstellung.

Wenn man davon ausgeht, dass Gott die Texte inspiriert hat, dann fällt es schwer, die ganzen unterschiedlichen theologischen Positionen, Widersprüche und Fehler zu erklären. 
Das Gegenargument, dass es ja menschliche Schreiber mit menschlichen Schwächen seien, zieht nicht, denn dann sind die „menschlichen“ Teile des Textes ja nicht mehr inspiriert. Wie soll man die inspirierten und die nicht-inspirierten Teile unterscheiden?

2. Einheitliche biblische Botschaft

Die einheitliche Botschaft, oder große theologische Linie, gibt es nur, wenn man die ganzen abweichenden Botschaften als zweitrangig erklärt, oder entsprechende Bibelpassagen im Sinne der großen Linie deutet. Die HKM ist aber gerade bestrebt, die Bibelpassagen im Sinne des ursprünglichen Autors zu deuten, nicht im Sinne einer später entwickelten theologischen Linie.

3. Umdrehen der Reihenfolge von Vorhersage und Erfüllung.

Bisher hat noch jeder Wahrsager entweder Insiderwissen gehabt, oder seine Trefferwahrscheinlichkeit war nicht höher als die Statistik erwartet, oder die Vorhersage ist nicht eingetreten - zumindest wenn man moderne Wahrsager (christlich und nichtchristlich) betrachtet.
Die Vermutung liegt nahe, dass die antiken Wahrsager auch nur mit Wasser gekocht haben.

4. übernatürliche Faktoren als Erklärung für Wunder

Auch hier gilt: Heute lassen sich keine Wunder mehr beobachten. Entweder hat Gott aufgehört, Wunder zu tun, oder er hat nie Wunder getan.
Viele der Heilungswunder lassen sich auch ganz zwanglos erklären, wenn man die Unterschiede zwischen antikem und heutigem medizinischem Wissen berücksichtigt.
Wenn die biblischen Wunder akzeptiert, kann auch nicht umhin, die Wunder in anderen Religionen als solche ernst zu nehmen.

5. skeptische Einschätzung der Historizität

Auch die ergibt sich aus dem Text selber: Der Text verrät, dass er aus verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Autoren stammt. (Wortwahl, historisches Wissen, Formulierungen, Grammatik etc.)
z.B. war zur biblischen bezeugten Lebenszeit Abrahams das Kamel als Reittier noch nicht domestiziert.
Ausführlicher und differenzierter hier:

6. Vermutungen

 Ja, das ist so. Das ist das Schicksal der Geschichtswissenschaften. Mehr als begründete und plausible Vermutungen sind nicht drin.
Siehe auch den Beitrag



Schlußendlich erkennt die historisch-kritische Methode an, dass die Christliche Religion zwar einzartig ist in der Art und Weise, wie sie die westliche Weltgeschichte in den letzten 2000 Jahren, und auch unsere moderne Welt geprägt hat.
Das gilt aber auch für andere Religionen zu anderen Zeiten und Orten.

Die vergleichenden Religionswissenschaften stellen fest, dass die Funktionsweise und Merkmale einer Religion bei der christlichen Religion nicht entscheidend anders sind, als bei allen Religionen.
Ausführlicher hier:


todo:
zerstört die HKM den Glauben?
transzendent, numinos, Ur-Mysterium
Begegnungen erlebt

Kommentare

  1. Du schreibst: „Diese Arbeitsmethoden haben sich aber nicht entwickelt, weil die Theologen von vorneherein davon ausgingen, dass es Wunder etc. nicht gibt. Sie haben sich aus dem Text selber, und aus der Beobachtung der Religionen entwickelt.“
    Da widerspreche ich dir. Wie im Kommentar zu deinem Artikel „Wissenschaftliches Prinzip“ dargelegt setzt die naturwissenschaftliche Herangehensweise (methodischer Atheismus) voraus, dass man übernatürliches von vornherein ausschließt!
    Du schreibst „Auch hier gilt: Heute lassen sich keine Wunder mehr beobachten. Entweder hat Gott aufgehört, Wunder zu tun, oder er hat nie Wunder getan. Viele der Heilungswunder lassen sich auch ganz zwanglos erklären, wenn man die Unterschiede zwischen antikem und heutigem medizinischem Wissen berücksichtigt.“
    Auch hier verweise ich auf meinen anderen Kommentar. Die Naturwissenschaft schließt von Anfang an aus, dass es Wunder gibt! Die Tatsache, dass ich eine logische Erklärung finde, bedeutet nicht, dass das die Wirklichkeit ist! Ich habe ja angenommen, dass es nur eine Erklärung ohne Gott gibt, also werde ich auch eine finden, die mich zufrieden stellt.
    Ich finde es irrational Theologie zu betreiben, sich also mit etwas übernatürlichem zu beschäftigen und allein naturwissenschaftlich argumentieren zu wollen, also übernatürliches auszuschließen!
    Du schreibst „Wenn die biblischen Wunder akzeptiert, kann auch nicht umhin, die Wunder in anderen Religionen als solche ernst zu nehmen.“
    Das ist tatsächlich ein gutes Argument. Ich persönlich bin als Naturwissenschaftler auch sehr skeptisch, wenn mir von einem Wunder berichtet wird. Für vieles findet man tatsächlich auch eine einfache Erklärung, dazu muss man ja nur in YouTube nach Erklärungen von „Zauber“-Tricks suchen:-) Auch ich werde erst einmal immer nach einer natürlichen Erklärung suchen und halte Skepsis für sinnvoll. Aber ich schließe nicht aus, dass auch in anderen Religionen Wunder vollbracht werden.
    Anders herum gedacht: Wenn ich annehme, dass es Gott oder irgendetwas mehr als unsere Natur mit ihren begrenzten Dimensionen gibt, dann erwarte ich auch, dass es Wunder gibt. Als Christ gehe ich davon aus, dass es nicht nur Gott, sondern auch Satan gibt. Also erwarte ich auch, dass auch dieser Wunder vollbringen kann...

    AntwortenLöschen
  2. Hallo Dan,

    >> Wie im Kommentar zu deinem Artikel „Wissenschaftliches Prinzip“ dargelegt setzt die naturwissenschaftliche Herangehensweise (methodischer Atheismus) voraus, dass man übernatürliches von vornherein ausschließt! <<

    Dass man Übernatürliches ausschließt, war ein Prozess.
    Galileo, Leonardo Da Vinci, Kepler, Kopernikus, Newton etc. waren alle gläubige Christen, und zweifelten pauschal gesagt, im Allgemeinen nicht an den biblischen Berichten, soweit ich weiß.

    Hier ein interessantes Zitat aus wikipedia:

    „Die Tragik von Galileis Wirken liegt darin, dass er als ein zeitlebens tiefgläubiges Mitglied der Kirche den Versuch unternahm, ebendiese Kirche vor einem verhängnisvollen Irrtum zu bewahren. Seine Intention war es nicht, die Kirche zu widerlegen oder zu spalten, vielmehr war ihm an einer Reform der Weltsicht der Kirche gelegen.“

    Charles Darwin befand sich da in einer Zwischenstufe. In seinem Hauptwerk „the origin of species“ lässt er die Frage, ob er gläubiger Christ ist, offen.
    hier mehr dazu:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Religious_views_of_Charles_Darwin

    Was den heutigen Stand angeht, hast du recht: Die natürlichen Phänomene wurden über die Jahrhunderte immer besser und erfolgreicher erklärt, ohne dass man Gott als Erklärung braucht.
    So ist diese Haltung, Gott nicht zur Erklärung heranzuziehen, zur Standard-Methode geworden.

    Wenn sich eines Tage herausstellen sollte, dass die Gott-Hypothese noch bessere Erklärungen liefert - dann wäre es die Pflicht jedes anständigen Wissenschaftlers, diese Hypothese ernsthaft in Betracht zu ziehen.


    >> Die Tatsache, dass ich eine logische Erklärung finde, bedeutet nicht, dass das die Wirklichkeit ist! Ich habe ja angenommen, dass es nur eine Erklärung ohne Gott gibt, also werde ich auch eine finden, die mich zufrieden stellt.<<

    Das klingt bei dir so, als ob man sich Erklärungen willkürlich ausdenken könnte. Das widerspricht aber dem wissenschaftlichen Prinzip, dass eine Hypothese überprüfbar sein muss, am besten sogar experimentell überprüfbar.
    Der härteste Test für die Erklärung ist die Wirklichkeit selber - stimmen die Voraussagen der Erklärung mit der Wirklichkeit überein?

    Wenn ja, dann beschreibt die Erklärung tatsächlich die Wirklichkeit, so wie wir sie mit unseren momentanen Möglichkeiten beobachten können.

    Für einen Wissenschaftler ist eine Erklärung nicht zufriedenstellend, nur weil sie in sich schön logisch ausschaut. Sie ist erst zufriedenstellend, wenn sie ein Phänomen widerspruchsfreier erklärt, als die alte Erklärung.

    Wenn du sagst, dass eine Erklärung nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, müsstest du auch konkret sagen, an welcher Stelle es keine Übereinstimmung gibt.

    >> Ich finde es irrational Theologie zu betreiben, sich also mit etwas
    > übernatürlichem zu beschäftigen und allein naturwissenschaftlich
    > argumentieren zu wollen, also übernatürliches auszuschließen!<<

    Das Feld der Theologie hat sich sehr gewandelt in den letzten Jahrhunderten. Ich denke, wenn man einen liberalen Theologen dazu fragen würde, würde er vielleicht sagen: Ich beschäftige mich nicht mit einem übernatürlichen Gott, sondern mit der Vorstellung eines Gottes, und den Auswirkungen dieser Vorstellung über die Jahrtausende und die Kulturen.
    Es gibt ja auch theologische Felder, wo man diese Frage gar nicht endgültig klären muss, z.B. Kirchengeschichte.
    D.h. deine Aussage, dass sich Theologie per Definition mit Übernatürlichem beschäftigen muss, würden viele Theologen nicht so sehen.

    In der evangelikalen, bibeltreuen Theologie hast du natürlich recht:
    Man kann nicht die Bibel kulturhistorisch verstehen, und gleichzeitig evangelikaler Theologe sein.

    AntwortenLöschen
  3. Und da sind wir wieder bei der historisch-kritischen Methode, welche die Bibel kulturhistorisch zu verstehen versucht.
    Die evangelikale Theologie muss mit vielen Widersprüchen leben.
    Die HKM kann diese Widersprüche auflösen.

    https://erkenntnisgewinne.blogspot.com/2020/02/wie-geht-man-mit-widerspruchen-in-der.html
    https://erkenntnisgewinne.blogspot.com/2020/01/hat-die-bibel-eine-einheitliche.html



    > Anders herum gedacht: Wenn ich annehme, dass es Gott oder irgendetwas mehr als unsere Natur mit ihren begrenzten Dimensionen gibt, dann erwarte ich auch, dass es Wunder gibt. Als Christ gehe ich davon aus, dass es nicht nur Gott, sondern auch Satan gibt. Also erwarte ich auch, dass auch dieser Wunder vollbringen kann...

    Verstehe ich dich richtig, dass deiner Ansicht nach die Wunder in anderen Religionen von Satan vollbracht werden?
    Das ist jetzt eine These, die ich so nicht gehört habe :-)
    Das würde ja bedeuten, dass Satan Krankheiten heilt, vor Unglücken schützt, Regen bringt etc - also alles, was der jüdische/christliche Gott auch tut.

    Vergleiche dazu

    https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/satan-at/ch/608e9833b8fc6f574c26304f9484cdb2/

    https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/satan-nt/ch/f1ab6bf548e88fcdfd09b3f0e8f34586/

    Meine These dazu wäre:
    Die egoistische Seite des Menschen ist Teil unserer genetischen Austattung - genauso wie die altruistische Seite.
    Die Figur des Teufels ist der Versuch, diese potentiell unschönen Seiten unseres menschlichen Charakters zu externalisieren.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Der Junge, der aus dem Himmel zurückkehrte

Gott 9.0 - Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird

Das Zeitalter der Resilienz