Vortrag Siegfried Scherer - Was Darwin nicht wusste.
Wie groß sind die Lücken in der Evolutionstheorie?
Das ist Siegfried Scherers Thema.
Siegfried Scherer ist Professor für Mikrobielle Ökologie an der Technischen Universität München in Freising-Weihenstephan.
Bis 2006 war er ehrenamtlicher Vorsitzender der evangelikalen Studiengemeinschaft Wort und Wissen, die eine auf der Bibel basierende Schöpfungslehre vertritt.
(Länge 1h 10min)
Zusammenfassung des Vortrags
Was Darwin nicht wissen konnte - über den Streit um die Entstehung des Lebens.
Den Forschern, die Kritik an der Evolutionstheorie üben, wird Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen, weil sie "intelligence design" in Betracht ziehen – einen Schöpfergott, der das Leben und die Arten geschaffen hat.
Dabei verschweigen die Anhänger der Evolutionslehre jedoch, dass "intelligence design" auch von großen Wissenschaftlern wie Albert Einstein oder Max Planck angenommen wurde. Galileo Galilei, Isaac Newton, Gregor Mendel - sie alle waren gottgläubig und hervorragende Wissenschaftler. Glaube und Wissenschaft war nie ein Widerspruch.
Prof. Dr. Siegfried Scherer kommt in seinem Vortrag zu dem Ergebnis, dass die entscheidenden wissenschaftlichen Fragen auch 150 Jahre nach Darwin ungelöst sind:
- Die Entstehung des Lebens ist unbekannt.
- Der Fossilbericht ist trotz großer Mengen an Funden enttäuschend.
- Die Makroevolution (Höherentwicklung) ist nicht experimentell belegt.
- Trotz gegenteiliger Behauptungen gilt noch immer, was der große Forscher Louis Pasteur nachwies:
"Lebendes entsteht nur aus Lebendem "
Mein Kommentar dazu
Ich finde es wohltuend, wie
sachlich und offen Siegfried Scherer argumentiert. Einige Anmerkungen
zu seinen Kernaussagen (in Kursiv).
Bei 21:20 Die
Entstehung der ersten Zelle ist immer noch unbekannt
Stimmt.
Es gibt aber eine ganz gute Vorstellung davon, wie der Vorläufer der
Zellen und schließlich auch die Zellen entstanden sein können.
Siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Chemische_Evolution
auch synthetische Evolution genannt.
Bei
24:30 Proteine entstehen nicht gerne von selber in wässriger
Lösung ohne Energiezufuhr.
Stimmt.
Aktueller Stand der Wissenschaft ist, dass diese Energiezufuhr von
vulkanischer Tätigkeit am Grund der Ozeane kommt.
Der
Kernsatz aus dem Wikipedia Artikel:
Schließlich
kann man sich aber auch ein ganz anderes System vorstellen, in dem
sowohl die Synthese der Bausteine als auch die energieabhängige
Bildung von Polymeren als kontinuierlicher Prozess in
ununterbrochener Kopplung an eine verlässliche Energiequelle
stattfindet, nämlich anaerobe Redoxreaktionen mit Metallsulfiden.
Diese werden durch vulkanische Tätigkeit auch heute noch in großen
Mengen am Grund der Ozeane freigesetzt, wo sie unter anderem
Strukturen wie die schwarzen
Raucher ausbilden,
die von diversen Mikroorganismen und höheren Tieren dicht bevölkert
werden.
Bei
26:00 Es muss eine hohe Reinheit von bifunktionellen Aminosäuren
vorhanden sein.
-
um aus diesen Aminosäuren Ketten und eine Mikrosphäre zu erzeugen.
Eine Mikrosphäre ist eine kleine kugelförmige Membran.
Stimmt.
Es ist noch nicht ganz klar, wie diese Reinheit zustande gekommen
ist.
Siegfried
Scherer hat dieses Problem wohl vom makromolekularen Chemiker Bruno
Vollmert übernommen.
Bifunktionell
heißt in diesem Zusammenhang amphipathisch oder englisch
amphiphilic.
Im
Labor ist dies allerdings schon gelungen.
Sidney
Fox hat aus Aminosäuren Mikrosphären erzeugt.
Der
Biochemiker und Nobelpreisträger Christian de Duve beschreibt
ähnliche Entstehungsweisen von Mikrosphären.
Singularities:
Landmarks on the Pathways of Life, ab Seite 129
Bei
26:50 in einer realistischen Ursuppe
Die
genaue Zusammensetzung der Ursuppe ist unbekannt. S. Scherer
suggeriert hier, dass die Labor-Varianten „unrealistisch“ seien.
Das ist also eine nicht belegbare Behauptung von Scherer.
Ab
27:30 nicht DNA kodierbar, deshalb nicht optimierbar durch
Evolution
Behauptet
auch keiner. Wir reden hier im Moment von chemischer Evolution. Da
gibt es noch kein DNA. Die chemische Evolution läuft dann erstmal
innerhalb der Mikrosphäre ab.
Ab
28:20 die gleiche optische Konfiguration Scherer redet hier
von L-Aminosäuren und D-Aminosäuren. Es müssen entweder nur
L-Aminosäuren oder nur D-Aminonsäuren vorliegen, damit sie sich
vernetzen können. Wenn die Aminosäure homogen in nur einer Form
vorliegt, nennt man das homochiral.
Scherer
behauptet, das es keine Systeme gibt, in denen Homochiralität
entsteht.
Stimmt
aber nicht.
Aus:
Allerdings
wurde 2001 gezeigt, dass auch selbstreplizierende Peptidsysteme in
der Lage sind, effektiv homochirale Produkte
aus einem ursprünglichen Racemat zu verstärken, was nach Ansicht
dieser Forscher die Auffassung der irdischen Entstehung der
Händigkeit biologischer Moleküle unterstützt.[8]
Mehr
zur Homochiralität:
Ab
29:25 Die Bildung optisch reiner Aminosäuremischungen wurde noch
niemals beobachtet.
Stimmt
nicht. Siehe oben.
Ab
30:10 in einem realistischen Experiment
Er
erklärt die erfolgreichen Experimente als nicht gültig, weil sie
nicht realistisch seien. Aber keiner weiß genau, was damals
„realistisch“ war. Siehe oben.
Ab
30:30
Er
fordert hier im Grunde genommen die Erschaffung von Leben im Labor.
Soweit ist die Wissenschaft noch nicht :-)
Ab
31:25 Der Ursprung der Mikroorganismen ist unbekannt
Ich
würde eher formulieren „nicht vollständig bekannt“.
Ab
31:45 ob wir es in 10 oder 20 Jahren wissen werden, das weiß ich
nicht
Diese
Aussage rechne ich Scherer hoch an. Für manche Entdeckungen hat die
Menschheit hunderte von Jahren gebraucht, und jede neue Erkenntnis
baut auf vorigen Erkenntnissen auf.
Ich
kann nur soviel sagen: Die Erkenntnisse der Wissenschaft haben uns in
den letzten Jahrhunderten immer wieder aufs Neue erstaunt. Ich
vermute, dass das so weitergehen wird.
Lassen
wir uns überraschen!
Ab
33:40 man weiß überhaupt nicht, wo die Tierwelt des frühen
Kambriums herkommt
Stimmt
so in dieser Absolutheit nicht.
Es
gibt zwei Haupt-Erklärmodelle, die evtl. beide zur Entwicklung der
Tierwelt beigetragen haben:
Ab
35:40 die Zwischenglieder fehlen alle
Man
hat viele Zwischenglieder noch nicht gefunden. Aber es fehlen bei
weitem nicht alle.
Es
gibt fossil dokumentierte Bauplan-Transformationen. Siehe
Dazu
die Original-Literatur Ulrich
Kutschera: Tatsache
Evolution. Was Darwin nicht wissen konnte.,
3. Auflage, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2010.
Seite 145
Man
kann die Bauplantransformation aber auch genetisch nachweisen.
Ab
37:00 die fossile Lücke zwischen Homo Rudolfensis
und Homo erectus hat sich vergrößert.
Wikipedia
sagt dazu:
Als
Zwischenglied zwischen Homo rudolfensis und Homo erectus kann Homo
ergaster gelten:
Homo erectus wird
immer menschlicher
Das
ist doch ein super Beispiel dafür, wie Vorläufer des modernen
Menschen auch schon menschliche Eigenschaften hatten und
ziemlich schlau waren.
Scherer suggeriert, dass homo erectus und homo sapiens im Grunde die
selbe Art sind. Stimmt nicht.
Abgesehen
von den Fossilienfunden, die immer lückenhaft bleiben werden, kann
man die Entwicklung anhand von DNA-Analysen nachvollziehen.
Scherer
kritisiert, dass sich die genaue Vorstellung davon, wie sich aus dem
gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und homo sapiens der homo
sapiens entwickelt hat, in den letzten Jahrzehnten immer wieder
gewandelt hat.
Das
stimmt, es kamen immer mehr Forschungsergebnisse dazu, und das Bild
wurde immer detailreicher. Das ist aus meiner Sicht eine positive
Entwicklung. Keiner behauptet, dass man schon alles bis ins kleinste
Detail weiß. Aber das große Bild wird deutlicher.
Ab
47:25 Makroevolution ist empirisch nicht belegt, keinen
experimentellen Beleg
Stimmt
nicht.
Siehe
Ein
seit 1988 laufendes Langzeitexperiment von Richard
Lenski zeigte
die Entstehung eines neuen Phänotyps (Bauplans) bei Bakterien. Dabei
erfolgten Evolutionsschritte, die für sich alleine keinen Vorteil
brachten, aber schlussendlich eine komplexe Änderung des
Stoffwechsels ermöglichten.
Zum
Flagellum des Escherichia Coli Bakteriums und zur irreduzierbaren
Komplexität:
Kurz
zusammengefasst: Ja, das Flagellum funktioniert nicht, wenn man ein
Teil wegnimmt. Und dass das Flagellum sich in einem Riesenschritt
direkt evolviert hat, ist sehr unwahrscheinlich.
Michael
Behe schließt die Möglichkeit aus, dass einzelne Teile des Motors
sich in anderen Zusammenhängen evolviert haben, und sich erst später
zum Flagellum zusammengelegt haben.
Solche
Zusammenlegungen sind aber beschrieben:
1:02:57
Zitat John Maynard Smith.
Keine empirische
Evidenz, dass Komplexität zunimmt.
Da
musste ich schon ein bisschen den Kopf schütteln, wie
sich S. Scherer die Zitate zurechtbiegt
:-)
Hier
der komplette Absatz im Original:
There
is no theoretical reason to expect evolutionary lineages to increase
in complexity with time, and no empirical evidence that they do so.
Nevertheless, eukaryotic cells are more complex than prokaryotic
ones, animals and plants are more complex than protists, and so on.
This increase in complexity may have been achieved as a result of a
series of major evolutionary transitions. These involved changes in
the way information is stored and transmitted.
Kurz
zusammengefasst - Smith sagt: Wir beobachten, dass die Komplexität
zunimmt, obwohl das erstmal nicht zu erwarten ist. Diese Zunahme
könnte das Ergebnis von einer Reihe makroevolutionärer Schritte
sein.
Also
in anderen Worten: Smith spricht von der Zunahme von Komplexität
durch Makroevolution, und Siegfried Scherer isoliert den etwas
provokant als Gegenthese formulierten
Einleitungssatz
und tut so, als sei
dieser Satz das Forschungsergebnis.
Hier
eine Übersicht des Buches, aus der hervorgeht, dass manche dieser
großen Schritte eben doch beobachtet werden können:
1:09:35
der Streit um die Entstehung des Lebens kann letztendlich
nicht wissenschaftlich gelöst werden.
Da
würde ich widersprechen. Wegen
der aktuellen Wissenslücken stimmt Scherers Aussage - im Moment.
Wenn man aber erste Lebensformen im Labor erzeugen kann, dann ist
experimentell bewiesen, dass Leben ohne göttlichen Eingriff
entstehen kann. Das würde natürlich nicht bedeuten, dass wir
wissen, wie vor 4 Milliarden Jahren das Leben entstanden ist. Es
könnte theoretisch
immer noch Gott gewesen sein. Aber man braucht Gott nicht mehr als
Erklärung.
Abschließende Bemerkungen:
Siegfried Scherer hat ein Recht auf seine Ansichten. Sein Vortrag ist aber nicht
ganz auf dem aktuellen Stand der Forschung, und er deutet gerne mal
Forschungsergebnisse in seinem Sinn, ohne die andere Seite zu nennen.
Sein
Vortrag hat aber in mir den Ehrgeiz geweckt, die ganzen Argumente mal
im Detail nachzuvollziehen. Ich muss sagen, ich habe viel gelernt,
von dem ich vorher keine Ahnung hatte. Wikipedia sei Dank :-) Vor 10
oder 20 Jahren, ohne Online-Fachliteratur, hätte ein Laie wie ich
keine Chance gehabt, jemandem wie Siegfried Scherer argumentativ zu
begegnen. Ich hätte mir alle Fachbücher und Fachzeitschriften
kaufen müssen, was ich natürlich nie gemacht hätte. Im Grunde
genommen hätte vor 20 Jahren nur ein Student des Fachgebietes Zugang
zu den nötigen Wissens-Ressourcen gehabt.
Schlußendlich
gilt aber doch die philosophische Erkenntnis, wie auch von Scherer in
seinem Abschlußwort erwähnt, dass es kein absolut gesichertes
Wissen gibt. All unser Wissen ist Stückwerk, und nur akzeptiert,
weil es im Moment keine besseren Erkenntnisse gibt. Das ändert aber
nichts daran, dass dieses Stückwerk immer weiter korrigiert und
verbessert wird. D.h. obwohl die Evolutionstheorie noch große Löcher
hat, ist das große Bild für die meisten Wissenschaftler schon recht
gut erkennbar und allgemein anerkannt.
Siegfried
Scherer vertritt eine Minderheitenmeinung, die auch große
Argumentationslücken hat. Er zeigt bevorzugt auf die Wissenslücken.
Für ihn sind diese Wissenslücken so groß, dass damit das große
Gerüst ungültig ist. Ich habe, denke ich, gezeigt, dass er die
Wissenslücken größer macht, als sie eigentlich sind.
Als
Laie ohne detaillierte Fachkenntnis muss man für sich entscheiden,
wem man da mehr vertraut...
Im
übrigen kann man, denke ich, Christ sein und ein
glückliches/sinnvolles Leben führen, egal ob man jetzt an die
Evolutionstheorie glaubt oder nicht.
Natürlich
nimmt dann der christliche Glaube eine andere Ausprägung an, je nach
Überzeugung. Aber so ist das halt mal mit den Christen – die sind
sich in vielen Punkten nicht einig :-)
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