John Lennox - Kontroverses und Persönliches

Dieser Post entspringt einem Kommentar zur einem 15-minütigen Video von John Lennox


1. Du schreibst: „Natürlich waren die ERSTEN Naturwissenschaftler Christen. Es gab ja nichts anderes in Europa…“ Du scheinst Lennox, missverstanden zu haben. Er wundert sich nicht darüber, dass diese ersten Wissenschaftler Christen waren, sondern dass sie kein Problem darin sahen, zugleich gottgläubig und Wissenschaftler zu sein.

Hier nochmal seine Aussagen im Wortlaut: ab. 1:40 - 2:20
What I am amazed at, is that serious thinkers today continue to ask us to choose between God and science.
That's like asking people to choose between Henry Ford and engineering, as an explanation of the motor car.
When Newton discovered his law of gravity, he didn't say: "I've got a law, I don't need God."
No, he wrote the Principia Mathematica, arguably the greatest work in the whole history of science. Because he saw that God is not the same kind of explanation, as a scientific explanation. God doesn't compete. Agency does not compete with mechanism and law.

Meine Übersetzung: (engl. Science entspricht ungefähr Naturwissenschaft, Arts entspricht Geisteswissenschaft)
Ich bin erstaunt, dass ernsthafte Denker heutzutage immer noch von uns verlangen, zwischen Gott und Naturwissenschaft zu wählen.
Das ist, als ob man zwischen Henry Ford und der Technik wählen soll, um das Auto zu erklären.
Als Newton das Gesetz der Schwerkraft entdeckt hat, sagte er nicht: "Ich habe das Gesetz entdeckt, ich brauche keinen Gott."
Nein, er hat die Principia Mathematica geschrieben, das vielleicht größte Werk in der gesamten Geschichte der Naturwissenschaft.
Denn er hat erkannt, dass Gott nicht die gleiche Art von Erklärung ist, wie eine wissenschaftliche Erklärung. Gott konkurriert nicht (mit der Wissenschaft). Der Akteur konkurriert nicht mit dem Mechanismus und dem Gesetz.

Wenn man die Aussage isoliert für sich nimmt, stimme ich ihr zu.
Allerdings steht sie ja im Kontext des ganzen Videos, und im Verlauf wird klar, dass er nicht irgendeinen Gott meint, sondern den christlichen Gott, und die christlichen Überzeugungen.
Und die Geschichte der Naturwissenschaften ist ja nicht bei Newton stehengeblieben.
Es ist verständlich, das Lennox diese Gesichte in so einem kurzen Video nicht aufdröselt. Insofern war meine Wortwahl "unterschlägt" zu hart.

Die Implikation seiner Aussage ist jedenfalls: 
"Es gibt kein Problem zwischen der Naturwissenschaft und dem Christentum." 
Das kann man für Newtons Zeit so sagen.
Heute stellt sich die Lage aber etwas anders dar.
Ein deistischer Gott lässt sich auch heute mit den Naturwissenschaften vereinbaren.
Mir ging es in meiner Bemerkung um die "christlichen Überzeugungen". Diese konkurrieren sehr wohl mit der Wissenschaft. Du hast ja in unseren Gesprächen einige Themen genannt, wo du den aktuellen Stand der Wissenschaft nicht teilst.
(P.S.: Du musst mir schon erlauben, dass ich einen Gedanken aus dem Video weiterentwickle :-)

2. Du schreibst: „Hier macht Lennox den selben gedanklichen Kurzschluss, den viele christliche Apologeten machen: Er setzt eine mögliche ursprüngliche Schöpferkraft automatisch mit dem persönlichen christlichen Gott gleich…“ Das ist eindeutig übertrieben: Lennox spricht in den ersten Minuten allgemein über Gott. Und darum geht es ihm hier auch. Er hat „Gott“ noch nicht definiert. (Du musst aber auch berücksichtigen, dass sein Vortrag nur 15 Minuten lang ist. Sehr ins Detail kann er nicht gehen. Von einem „Kurzschluss“ kann man hier wahrlich nicht sprechen.)

Ich weiß aber, wie er ihn definieren wird. Ich kann in die Zukunft schauen :-) 
Es läuft darauf hinaus:
https://erkenntnisgewinne.blogspot.com/2020/10/agnostizismus-deismus-und-der.html



4. Du schreibst: „Lennox schließt daraus, dass die menschliche Kognition nur von Gott erschaffen sein kann. Das ist aber ein Fehlschluß. Er denkt überhaupt nicht darüber nach, dass es auch andere Möglichkeiten geben könnte. Die offensichtliche Erklärung für die menschliche Kognition ist schlicht und einfach der evolutionäre Überlebensvorteil.“ Ist das wirklich so offensichtlich? Du machst es dir wirklich sehr einfach! Lennox sagt, dass auf Grund der Intelligenz, die uns umgibt und uns erfüllt, die Existenz Gottes als Ursprung dieser Intelligenz für ihn MEHR SINN macht!!

Lennox lehnt die Evolutionstheorie ab. Von seiner Perspektive aus macht das Sinn. Ich teile aber seine Perspektive nicht.


(5. Zitat von J. Habermas… dann schreibst du: „Lennox schließt daraus, das der christliche Glaube wahr ist.“ Das hat er nicht getan; das nur nebenbei gesagt.)

Lennox leitet das Zitat ein mit:
Die Existenz von Moral kann nicht ohne Gott erklärt werden. So wie die Naturwissenschaften aus jüdisch-christlichen Quellen entstanden, so auch das Konzept der Gleichheit. Hören sie sich den Atheisten Jürgen Habermas an:

Hier ist das Originalzitat:
Das Christentum ist für das normative Selbstverständnis der Moderne nicht nur eine Vorläufergestalt oder ein Katalysator gewesen. Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, von autonomer Lebensführung und Emanzipation, von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative. Auch angesichts der aktuellen Herausforderungen einer postnationalen Konstellation zehren wir nach wie vor von dieser Substanz. Alles andere ist postmodernes Gerede.“

Jürgen Habermas: „Ein Gespräch über Gott und die Welt“, in: ders.: Zeit der Übergänge. Kleine Politische Schriften IX, Frankfurt a. M. 2001, S. 173–196, hier S. 174 f.


Lennox fährt fort:
Der Wert eines Menschen, aus dem seine Gleichheit folgt, ... beruht darauf, dass er als Gottes Ebenbild gemacht ist.

Insofern benutzt Lennox die Beobachtung, dass unsere modernen Werte dem Christentum entspringen, schon als einen Beleg dafür, dass die Christliche Weltsicht (konkret in diesem Fall: dass die Moral von Gott kommt, und dass die Menschen als Gottes Ebenbild gemacht sind) stimmt.
Denn Lennox würde nicht nur sagen, dass die Werte dem Christentum "entspringen" oder "ein Erbe sind" (Wortwahl Habermas), sondern "nicht ohne erklärbar sind" (Wortwahl Lennox)

Meine ursprüngliche Formulierung "Lennox schließt daraus (aus der Beobachtung, dass unsere modernen Werte dem Christentum entspringen), das der christliche Glaube wahr ist." ist also zugegebenermaßen unglücklich formuliert, aber in der Tendenz nicht falsch.

Im übrigen stimme ich Jürgen Habermas zu. An einigen Stellen in diesem Blog erwähne ich die Bedeutung des Christentums für unsere moderne Welt. Um mich selber zu zitieren:

Im Grunde genommen plädiere ich in meinem Blog nicht für eine Abschaffung des Christentums. Ich plädiere aber für eine reflektierte, aufgeklärte Form des Christentums. Ich denke, das Christentum könnte dadurch viel mehr gewinnen als verlieren.



9. Du schreibst: „12:40 Das Böse und der Schmerz sind das größte Problem des Christentums. Das sehe ich ähnlich.“ Das sehe ich auch ähnlich. Aber wenn du richtig zugehört hast, hat Lennox deutlich gemacht, dass dieses Problem unser aller größtes Problem ist – also nicht nur für Christen.

Ich mag das Böse/Schmerz/Leid zwar auch nicht, aber ich verstehe, wo es herkommt, und dass es, so wie unsere Welt beschaffen ist, unvermeidlich ist.
Insofern habe ich kein philosophisches Problem damit. 
Insgesamt gesehen, ist die Welt in den vergangenen Jahrhunderten ein Ort mit weniger Leid und Schmerz geworden. Selbst die Weltkriege haben diese Entwicklung nicht gestoppt, nur verzögert.
Die Aufgabe unserer Generation ist es, das nicht durch Zerstörung der Ökosysteme und den Klimawandel vieles wieder kaputt zu machen. Nachhaltigkeit ist Gerechtigkeit.


10. Du schreibst: „14:30 Ohne Jesus gibt es keine Hoffnung auf schlußendliche Gerechtigkeit. Ja, ist leider so. Die ganze Ungerechtigket auf der Welt wird nie gesühnt werden. Der Wunsch, dass die Welt doch irgendwie gerecht sein müsse, ist leider nur ein Wunsch.“ Das sehe ich auch so. Es ist dann eine sehr traurige Aussicht.

Na ja, meine Aussage geht ja noch weiter:

 Es liegt an uns selber, die Welt gerechter zu machen, wenn uns Menschen das so wichtig ist.

Das ist dann wiederum eine sehr hoffnungsvolle Aussicht, denn es besteht die Möglichkeit auf Besserung. Und wir haben ja in der Menschheitsgeschichte schon eindrucksvoll bewiesen, dass Wandel möglich ist. Wir können uns ändern - gesellschaftlicher Wandel -:)


Zum Schluss sei noch erwähnt, dass ich es sehr schade finde, dass du dem guten Vortrag von Lennox bei aller Schwachheit nichts Gutes abgewinnen konntest.

Sei mal nicht so defensiv! (Das meine ich allgemein, nicht nur deinen letzten Satz) Ich greife Lennox doch nicht persönlich an. Er hat sich öffentlich pointiert zu einem kontroversen Themenkomplex geäußert, also darf ich ihm auch öffentlich pointiert antworten.
Bei den ganzen Teilen im Video, die ich nicht kommentiert habe, habe ich nichts zum kritisieren gefunden :-)  Die Schwaben sagen: "Nix gschwätzt isch gnung globt" :-)
Mein Blogposts sind keine Doktorarbeiten, wo ich jeden einzelnen Satz des Videos analysieren muss, oder ein Thema in allen seinen Facetten darstellen muss. Es ist mir selber überlassen, wie viel Zeit und Arbeit ich in einen Blogpost stecke, oder ob ich wieder mal den Familienfrieden gefährde, weil ich zu viel Zeit mit Lesen und Schreiben verbringe.

Ganz abgesehen davon, benutze ich youtube-Videos ungern als Quelle. In diesem Fall habe ich es getan, weil mich jemand explizit aufgefordert hatte, dieses Video anzuschauen.
Bei Videos geht viel zu viel Zeit verloren, um Aussagen zu verschriftlichen, um Stellen wiederzufinden, etc. Allein das Anhören dauert viel länger als das Lesen. Und die anschließende Diskussion ist auch mühsamer, weil man nicht einfach Textstellen per copy and paste zitieren kann.
Und auch der Videoersteller selber kann nicht so einfach Quellen etc. angeben. Idealerweise wäre unter jedem youtube-Video eine vollständige Transkription mit Zeitangaben, ist aber leider nicht so. Das Zitat von Habermas habe ich nach ein paar Minuten googeln und einigen Fehlversuchen gefunden, aber einfach ist anders.
Insofern bitte ich, wenn möglich, auf Zusendung von youtube-links zu verzichten, oder eine Transkription/Zusammenfassung mitzuliefern. (Ich weiß, dass ich selber youtube-Videos verlinke, wenn ich nichts besseres finde :-) In den meisten Fällen schaffe ich es aber, eine schriftliche Zusammenfassung zu erstellen.)

Ich bin seit Jahren dabei, das Buch von John Lennox "Hat die Wissenschaft Gott begraben?" aufzuarbeiten. Das erste Mal habe ich es denke ich im Studium gelesen, dann ging das Buch vermutlich in der großen Überschwemmung im Keller der offenen Tür kaputt oder in den Umzugswirren verloren, dann habe ich es mir neu gekauft.
Hier ein erster Anfang:

Im übrigen verbindet mich eine persönliche Geschichte mit John Lennox.
Ich habe ihn zum ersten mal als Redner auf der Pfingsttagung des CVJM in Bobengrün gehört. Dass muss so um 1992-93 gewesen sein, als ich 15 oder 16 war. Er hat alles auf Deutsch gepredigt, denn er hatte einige Jahre in Würzburg und Wien als Uni-Dozent gearbeitet.

Als ich dann in England für Innovista gearbeitet habe, haben wir die Interviewserie "Glad you asked" gedreht, eine DVD für evangelistische Kleingruppenarbeit.
Dabei haben wir Lennox mehrere Male in seinem Büro, einer kleinen umgebauten Scheune, und in seinem ehemaligen College gefilmt, und zusammen eine oder zwei Tassen englischen Schwarztees mit Milch genossen.
Bei der Gelegenheit hat er mich gefragt, ob ich in einen Boxkampf verwickelt gewesen sei. Ich wußte erst gar nicht, was er meint - bis er grinsend auf seine Zähne gezeigt hat.
Ich konnte ihn dann aufklären, dass das Kiefertrauma, was schlussendlich zu meiner Zahnlücke geführt hat, eher von einem Fahrradsturz aus der Kindheit kommt.

Ich schätze John Lennox also persönlich und auch als Denker. Aber in entscheidenden Punkten sind wir halt inzwischen nicht mehr einer Meinung.

Das Leben als Akademiker hat seine guten und schlechten Seiten (besonders wenn man nur eine befristete Stelle hat), aber um eines beneide ich Lennox: Er hat so viel mehr Zeit als ich, sich den interessanten Themen zu widmen.

Kommentare

  1. Hallo, ich habe seit gefühlte Ewigkeiten, mal wieder in den Blog geschaut und kurz ein paar Kommentare gelesen.
    Du schreibst: "Lennox lehnt die Evolutionstheorie ab." Das stimmt nicht ganz. So viel ich weiß, lehnt er nur ab, dass die Dinge einfach so zufällig sich entwickelt haben. Dass es grundsätzlich eine Entwicklung gab (von Urknall bis heute) ist für ihn kein Problem und nicht widersprüchlich zu den biblischen Texten. Für ihn ist der Schritt vom Deismus zum christlichen Glauben sehr klein und naheliegend. Deshalb sagt er, dass dieses Weltbild für ihn am MEISTEN SINN macht. Es ist in vielem einfach stimmig. Da stimme ich voll zu.
    Noch ein Hinweis zu einem interessanten Buch von William Lane Craig über "The historical Adam" oder "The Lost World of Genesis One" von John Walton.

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    1. Das Kernprinzip der Evolution ist Variation und anschließende Selektion.

      Wenn man annimmt, dass die Variationen nicht zufällig entstehen, sondern so designt wurden, stellen sich einige Fragen:
      - Das Leben entwickelt sich seit fast 4 Milliarden Jahren, und die Lebewesen werden mit der Zeit immer hochentwickelter. Wieso dieser lange Umweg, wenn das Enddesign doch schon bekannt ist?
      - 99% aller Arten sind inzwischen wieder ausgestorben, weil sie von erfolgreicheren Arten verdrängt wurden. Wieso gibt es so viel Ausschuss?
      - Auch die heutigen Lebewesen leiden an Schwachstellen und regelrechten Fehlkonstruktionen. Wie ist das erklärbar?
      - Unsere DNA trägt jede Menge alte Code-Sequenzen mit sich herum, die keinen Zweck mehr haben. Wieso alten Code in ein neues Design einbauen?

      Ohne zufällige Variation ist der beschriebene biologische Befund nicht sinnvoll erklärbar.

      Die relevanten Blogposts habe ich ja oben schon verlinkt.
      Wenn es konkret um Evolution und intelligent Design geht, können wir ja dort weiter diskutieren.

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Hallo Thomas, am liebsten würde ich hier nichts mehr schreiben. Es fällt mir aber sehr schwer, überhaupt nichts zu schreiben! Daher nur das: Du scheinst weniger auf Lennox zu antworten als auf deine Interpretationen seiner Aussagen. Ich empfinde, dass du ihm Unrecht tust.
    Ich selbst fühle mich auch falsch verstanden.
    Trotzdem beste Grüße!

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