Megatrends - was wird die Zukunft unserer Kinder bestimmen?

Ford Nucleo von 1952
Vor 70 Jahren träumten die Menschen von Flugtaxis und atomgetriebenen Autos. So sehr daneben lagen sie gar nicht - Flugtaxis gibt es inzwischen. Autos sind zwar nicht atomgetrieben, aber Schiffe.

Was sie aber nicht auf dem Radar hatten, war die unter anderem durch das militärische Wettrüsten getriebene Entwicklung von Halbleiterelektronik, Computern, und einem digitalen Kommunikationsnetz.

Daraus sind das Internet, Smartphones und soziale Medien entstanden. 

Wie wird die Welt in weiteren 70 Jahren, also ca. im Jahr 2100, aussehen?

Einige Entwicklungen sind schon seit vielen Jahrzehnten in Gang.

Umwelt

Die Veränderung unserer Umwelt in großem Maßstab durch Klimawandel und Artensterben begann vor ca. 70 Jahren, und ist bis jetzt ungebremst.

Der Bericht "die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome erschien 1972, also vor 50 Jahren, und seine qualitativen Vorhersagen sind im Großen und Ganzen zutreffend.

Was sich mit ziemlicher Sicherheit voraussagen lässt:
Die kommenden Jahrzehnte werden voller Krisen, Unsicherheit und Umbrüche.

Der Klimawandel wird Verlierer und Gewinner hervorbringen.
Auch der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft wird Verlierer und Gewinner hervorbringen.
Die Balance der Weltmächte wird neu verteilt werden.

Durch Naturkatastrophen, Ernteausfälle etc. wird es in 100 Jahren viele 100 Millionen oder sogar Milliarden Klimaflüchtlinge geben, die alle irgendwo unterkommen wollen.

Krisenzeiten können auch gut sein, um Veränderung zu schaffen, und Neues zu gestalten. Diese Veränderungen müssen politisch gestaltet werden. Nicht jede Staatsform ist dazu gleich gut geeignet.

Demokratie und Diktatur

Diktaturen wie China können schnell und effizient entscheiden und umsetzen. Aber die Stoßrichtung dieser Entscheidungen wird immer die Priorität haben, die Macht der Partei zu sichern. Das Interesse der Partei ist nicht immer deckungsgleich mit dem Interesse des Volkes.

Demokratische Entscheidungsprozesse sind viel anfälliger für Populismus, dauern länger, und oft kommt nur ein lauwarmer Kompromiss heraus. Aber langfristig ist diese Methode der Entscheidungsfindung vielleicht doch die hochwertigere, weil die Interessen von vielen Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden.

Die Frage ist, ob die Demokratien, so wie wir sie im Westen haben, überhaupt die kommenden Krisen überleben werden. In den USA sieht man wie in einem Brennglas, wie schwierig sich Demokratien tun, wenn es kein ständiges Wirtschaftswachstum mehr gibt, wo die Politiker ihren Wählern immer weiter zunehmenden Wohlstand versprechen können.

Besonders die Demokratie in den USA leidet unter einigen Problemen:

- Das Mehrheitswahlrecht und das Wahlmänner-System fördert Polarisierung, erschwert eine Parteienlandschaft mit mehr als 2 Parteien, erschwert die Gründung neuer Parteien, und ist nicht auf Koalitionen ausgelegt.
- Der Kapitalismus US-amerikanischer Prägung produziert zu viele Verlierer, und verhindert soziale Mobilität.
- Der politische Einfluss reicher Leute und Unternehmen ist zu groß.
- Die Medienlandschaft und die sozialen Medien fluten den Diskursraum mit ungefilterter Information, machen es leicht, in seiner Filterblase zu bleiben, und werden von Populisten ausgenutzt.
- Das Zeitalter der Weltmacht USA ist vorbei, und die Gesellschaft hängt in der Vergangenheit und in Identitätsfragen fest, anstatt die Zukunft zu gestalten.

Die wahre Probe einer Demokratie ist die Krisensituation. Im Grunde genommen erwartet eine demokratische Gesellschaft von ihren Bürgern, dass sie manchmal gegen ihren kurzfristigen individuellen Wohlstandgewinn wählen, um das Große und Ganze (Lebensgrundlagen, Menschenrechte, Frieden) zu schützen und zu erhalten.

Diktaturen haben inzwischen die Möglichkeit, ihre Bürger fast komplett zu überwachen (digitale Datenspur, Gesichtserkennung, etc,). Gibt es unter diesen Bedingungen überhaupt noch die Chance, dass sich eine demokratische Zivilgesellschaft entwickeln kann? Veränderung kann hier eigentlich nur noch von innerhalb der herrschenden Partei selber kommen.

D.h. obwohl Diktaturen schneller entscheiden und handeln können, sind sie, was die Organisation von Gesellschaft betrifft, eher veränderungsunwillig, und damit vielleicht auch nicht so anpassungsfähig an die Herausforderungen der Zukunft.

Der Wettbewerb zwischen pluralistischen liberalen Gesellschaften, und eher homogenen nationalistischen Gesellschaften ist noch nicht zuende.

Auch die richtige Balance zwischen Individualismus und dem Wohl der Gemeinschaft ist nicht leicht zu wahren. Individualismus endet leicht in Egoismus und Rücksichtslosigkeit, und Vorrang der Gemeinschaft endet leicht in Utilitarismus und Missachtung des Indivuums.

Der Liberalismus muss sich meines Erachtens unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts neu ausrichten (aber das führt jetzt hier zu weit)

Medizin

Ein weiter Megatrend wird die Entwicklung zu immer personalisierter Medizin werden. Persönliche KI wird Risikofaktoren erkennen, lange bevor die Krankheit ausbricht. Maßgeschneiderte Medikamente werden wesentlich wirksamer und verträglicher sein. Die Lebenserwartung für so versorgte Menschen wird deutlich steigen. Doch nicht jeder wird sich diese hightech-Medizin leisten können.

Künstliche Intelligenz

Viele Entscheidungen in unserem Alltag werden in Zukunft von künstlicher Intelligenz/maschinell lernender Software getroffen werden. 

Arbeitswelt:
Die Software wird die Bewerbungsunterlagen vorfiltern, meine Serviceeinsätze planen, meine Leistung bewerten, mir bei der Entwicklung von Produkten helfen.

Politik:
Durch Software simulierte Szenarien und Prognosen dienen jetzt schon als Entscheidungsgrundlage.


Informationsflut

Die Verarbeitung und Interpretation von Informationen wird ein entscheidender Faktor für den Charakter zukünftiger Gesellschaften haben.

Meine Diagnose ist, dass viele Menschen im Moment erkennbar damit überfordert sind, Informationen effektiv zu filtern und zu bewerten, und den Überblick zu behalten (siehe Brexit, Trump, Corona-Pandemie).
Wird eine neue Generation das besser hinbekommen, weil sie es von Kind auf gelernt haben?

Die klassischen Rezepte gegen Informationsflut und Desinformation wären, die Rolle von Journalisten als Gatekeeper wieder zu stärken, und Facebook, Whatsapp etc. als Erzeuger von Filterblasen wieder zurückzudrängen.

Ich fürchte aber, dass man das Rad der Zeit nur bedingt zurückdrehen kann.
Unsere wichtigste Lernerfahrung muss sein: Wie vertrauenswürdig ist die Quelle?

 

Religion und Wissenschaft

Wer hilft den Menschen, mit Unsicherheit zurechtzukommen, und die Welt zu interpretieren? Diese Funktion haben bisher oft die Religionen übernommen. Auch in 100 Jahren werden die Weltreligionen noch großen Einfluss haben. Aber die Reformation, die Aufklärung und die Wissenschaft haben die Religionen deutlich verändert, und dieser Prozess wird weitergehen.

Eine Gesellschaft wird durch gemeinsame Überzeugungen zusammengehalten. Diese Überzeugungen werden innerhalb der Gesellschaft für "wahr" gehalten. Wer will, kann diese gemeinsamen Wahrheiten und Werte als Religion bezeichnen. Passender ist vielleicht der Begriff "Weltanschauung" oder "Weltsicht". 

Welche Überzeugungen und Werte werden eine Gesellschaft in der Zukunft prägen?
Wird der Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus auch in 100 Jahren noch ausgefochten werden?
Ich glaube, dass dieser Kampf der Vergangenheit angehören wird. Denn die modernen Demokratien mit sozialer Marktwirtschaft vereinen jetzt schon beide Seiten. Das ungebremste Wirtschaftswachstum wird aus schierem Mangel an Ressourcen gestoppt sein. Und durch die unermessliche Flut an Daten aus Wirtschaft und Gesellschaft wird man besser den je eine "Planwirtschaft" im besten Sinne umsetzen können. Schon jetzt ist jedes große Unternehmen datengetrieben - alles wird geplant, optimiert, simuliert, vorausberechnet etc.

Im besten Falle wird die Wissenschaft in dieser zukünftigen Datengesellschaft eine zentrale Rolle einnehmen - als Lieferant der Rohdaten, aber auch als glaubwürdiger Erklärer.

Im schlimmsten Falle werden wir von einem chaotischen Chor mit widersprechenden Informationen bombardiert werden, und skrupellose Populisten werden nach Kräften emotionalisieren und aufhetzen.

Denn hier liegt meines Erachtens die größte Schwachstelle im System:

Wir Menschen sind im Gehirn immer noch verdrahtet für ein Leben in der Steinzeit. Wir reagieren emotional, wir teilen die Welt in Freund und Feind ein, wir unterschätzen systematisch den kumulierenden Effekt von langsamen Entwicklungen, wir betrachten die Natur als gegeben.

Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, sagt im Spiegel:

Evolutionsbiologen vertreten die These, dass das Uraltgehirn des Menschen, programmiert auf die sichtbare Ad-hoc-Gefahr in nächster Nähe, schuld sei.
Psychologen weisen nach, in welchem Maße Filter- und Verzerrungsmechanismen Illusionen und Irrtümer begünstigen und zur Verdrängung eines gegenwärtigen und künftigen Schreckens taugen.
Soziologen führen vor, dass die Teilsysteme der Gesellschaft wie Politik, Wirtschaft und Medien die Realität strikt nach ihren eigenen, rein internen Regeln verarbeiten, also nur begrenzt für äußere Warnungen empfänglich sind.
Und die Philosophen der Stunde wie Timothy Morton erklären, Pandemie und Klimakatastrophe seien sogenannte Hyperobjekte – Phänomene und Krisen, die allgegenwärtig sind, total präsent, aber doch absolut unvorstellbar.

Diese Verhaltensweisen sind keine optimalen Voraussetzungen für das Gedeihen unserer globalisierten, technisierten Zivilisation. Wir werden in 70 Jahren 9 oder 10 Milliarden Menschen sein - wir tun aber teilweise immer noch so, als ob wir ein Stamm von 150 Leuten wären, die sich mit den anderen Stämmen um die Jagdgründe und Ackerflächen streiten müssen.

Doch es gibt auch Hoffnung:

Wir Menschen sind unglaublich anpassungsfähig und lernfähig. Wir können sogar (in gewissen Grenzen) unsere eigenen Emotionen formen.
Wir können unseren Kindern die Fähigkeiten und Werkzeuge mitgeben, um die Zukunft der Menschheit und des Planeten zu gestalten. (Für meine eigene Generation bin ich etwas desillusioniert. An dem Sprichwort "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" ist was dran.)

Welche Fähigkeiten das sind, liegt nach dem oben geschriebenen eigentlich auf der Hand:

  • Bildung, Verstehen, wie Wissenschaft, Religionen und Gesellschaften funktionieren
  • Medienkompetenz, Recherche
  • Reife Persönlichkeit entwickeln, seine eigenen Schwächen und Stärken kennen
  • Urteilskraft entwickeln, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden
  • Fähigkeit zur Empathie, Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen

Diese Punkte hängen natürlich miteinander zusammen.

 

Darum geht es letztlich, heute und auch in Zukunft:

Die Lebensgrundlagen, die Menschenrechte, eine lebenswerte Gesellschaft und den Frieden erhalten und beschützen

Denn wir sitzen alle im selben Boot, unserem kleinen blauen Planeten.

 


 

Hier, und an vielen anderen Stellen im Internet, die Geschichte des Bildes "Earthrise":

https://www.welt.de/wissenschaft/article185884524/Apollo-8-Die-Entdeckung-des-blauen-Planeten.html

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