Demokratie und Revolution

Demokratie und Revolution - Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit

von Hedwig Richter und Bernd Ulrich

Klappentext

Es ist ein Widerspruch entstanden zwischen Demokratie und Ökologie, zwischen dem unabwendbaren Zeitdruck und der scheinbar gottgegebenen Langsamkeit der Demokratie.

Die Historikern Hedwig Richer und der ZEIT-Journalist Bernd Ulrich wollen diesen Widerspruch überwinden und zeigen, wie eine notwendige Revolution zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen einhergehen kann mit der notwendigen Verteidigung und Entfaltung der Demokratie.


Ich habe die Lektüre des Buches jetzt einige Wochen sacken lassen. Welche Gedanken sind bei mir hängen geblieben?

Zielgruppe

Das Buch richtet sich an politisch Interessierte.
Ich habe es weiterempfohlen, und eine Rückmeldung war "Es ist mir zu kompliziert geschrieben". Das Buch ist tatsächlich komplex, denn das Thema ist komplex. Andererseits ist es so einfach geschrieben wie möglich. Man merkt, dass der Autor Journalist ist, und er versteht es, komplizierte Sachverhalte verständlich zu erklären.

Wer politisch interessiert ist, ist meistens auch Multiplikator. Die Autoren sprechen Gemeinderäte, Lehrer aller Art, Eltern etc. an.

Kurz-Zusammenfassung

Zumindest so kurz wie möglich :-)

Demokratie und Wirtschaftswachstum gehörten bisher zusammen

Die Geschichte der demokratischen Entwicklung in Europa ist untrennbar mit der Industrialisierung verbunden. Die Güter der Industrie erleichterten das Leben und die Fortbewegung, die Medien erleichterten den Informationsfluss.
Erst als die Menschen nach Feierabend Zeit und Kraft hatten, sich mit ihrer Situation zu beschäftigen, konnten sie für Verbesserungen kämpfen.

In den Anfängen der Demokratie war es klar, dass jeder für die Demokratie Opfer bringen muss. Die Demokratie wurden gegen die Widerstände des Adels etc. erkämpft.

Doch wenn man z.B. in einer Wirtschaftskrise Verlierer des Systems ist, sinkt die Sympathie für das demokratische System. So führte z.B. die Wirtschaftskrise der Weimarer Republik zum Faschismus. Daraus zog die Politik nach dem 2. Weltkrieg die Lehre, dass es den Leuten wirtschaftlich gut gehen muss, sonst wählen sie Faschisten.

Wirtschaftlicher Erfolg war auch ein Argument und ein Mittel, um im kalten Krieg im Kampf der Systeme die Sowjet-Diktatur zu besiegen.

Die Politik sieht sich also dafür zuständig, den Wählern Unannehmlichkeiten vom Leib zu halten.
Konflikte ließen sich in der Vergangenheit oft entschärfen, in dem man einen zähen, langsamen Kompromissprozess durchlief, bei dem am Ende alle einigermaßen glücklich waren - besonders, wenn man den Kompromiss mit Geld erträglich machen konnte.

Die Entmündigung der Bürger

Doch die Industrialisierung, die erst für eine Verbesserung des Lebens sorgte, ist mit ihrem wachsenden Ressourcenverbrauch und ihren Nebenfolgen über das Ziel hinausgeschossen, und verschlechtert unser Leben nun.
Die Wahrheit ist, wir westlichen demokratischen Bürger zerstören mit unserer Lebensweise langsam aber sicher unsere zukünftigen Lebensgrundlagen.
Die wissenschaftlichen Fakten erklärt das Buch nur kurz. Hier wird nicht zu x-ten Mal die Klimakrise und das Artensterben von vorne aufgerollt.

Das will keiner gerne hören, und deswegen sagen es die meisten Politiker auch nicht so deutlich.
Die Wähler werden wie unmündige Kinder angesprochen, und so verhalten sie sich dann auch.

Früher war Langsamkeit ein demokratisches Mittel der Befriedung. Heute macht Langsamkeit alles nur noch schlimmer, weil mit jedem Jahr, wo nur halbherzig gegengesteuert wird, z.B. der CO2 Gehalt weiter zunimmt. Warten macht alles schlimmer.

Leider ist die akademische Mittelschicht, die das alles im Prinzip weiß, kein sehr gutes Vorbild bei der Bekämpfung der multiplen Krisen. Der Großteil der CO2 Emissionen und der Ressourcenverbrauchs findet bei den Wohlhabenden statt - sowohl weltweit gesehen, als auch innerhalb der westlichen Industrieländer. Wohlhabend heißt etwas pauschal gesagt: Besitzt ein Auto, kann sich einen Urlaubsflug leisten.
Als gebildeter Mensch kann man auch einigen argumentativen Aufwand betreiben, wieso man nicht zuständig ist, und dies oder jenes nicht zumutbar sei.

Das macht sie bei weniger gebildeten und wohlhabenden Schichten unglaubwürdig.

Denn wenn z.B. die Grünen sagen, dass wir den Wandel zu Klimaneutralität ohne Verzicht hinbekommen, und dann gibt es einen klitzekleinen Bereich im Leben, wo man doch ein kleines bisschen verzichten muss, dann kann man den Grünen gleich Heuchelei und Scheinheiligkeit vorwerfen, und muss nicht weiter auf ihre Argumente hören.

Sind wir Monster?

Zitat S. 123:

Die Botschaft der Politiker an die Bevölkerung in vier Sätzen:

Satz eins (laut gesprochen):
"Wir bewegen uns mit erheblichem Tempo immer tiefer in eine ökologische Krise hinein, die, wenn es so weitergeht, die Grundlagen unserer Kultur, der Demokratie und des Lebens unserer Kinder irreversibel beschädigen wird."

Satz zwei (sachlich vorgetragen):
"Dieses Desaster wollen wir mit dem Einsatz von Technologie und Steueranreizen abwenden - allerdings ohne euch dabei nennenswert etwas zuzumuten oder abzuverlangen."

Satz drei (genuschelt):
"Denn wir sind der festen Überzeugung, dass ihr niemals bereit wäret, für die Zukunft eurer Kinder, für den Erhalt unserer Kultur und für die Sicherung der materiellen Grundlagen der Demokratie auf einen Teil eurer Gewohnheiten und Bequemlichkeiten zu verzichten."

Satz vier (nie gesagt, immer gemeint):
"Mit anderen Worten: Ihr seid Monster."

(Ab hier von mir zusammengefasst und gestrafft)
Der letzte Satz ist von den Politikern nicht als Vorwurf gemeint, sondern als Feststellung: So ist es halt, wir stellen unsere Politik darauf ein. 

Die Politiker gehen davon aus, dass die Menschen komplett ausrasten würden, wenn man ihnen nun doch plötzlich etwas zumuten will.

Dieses Selbstbild ist ja kaum auszuhalten, und mit dem Bild, was die meisten Menschen von sich als Privatmensch, als Staatsbürger, als Kolleginnen und als Eltern haben, unvereinbar.

Um diese bittere Wahrheit nicht aushalten zu müssen, ist es einfacher, die Klimakrise zu relativieren. Wenn die Krise gar nicht so schlimm ist, dann ist mein Verhalten auch nicht so schlimm.

Der andere Notausgang besteht darin, die Krise zwar nicht zu relativieren, aber die Rettung der Menschheit allein durch Technik für möglich zu erklären.
Das ist aber ein Irrglaube. Die Technik selber, z.B. die Windräder, sind für viele Menschen schon eine Zumutung zu viel. Dazu kommt noch der Rebound-Effekt (Wenn grüner Strom billig wird, dann werden wir umso mehr davon verbrauchen), und die Hoffnung auf neue nukleare Reaktoren, CCS (Carbon Capture Storage) etc., die aber alle viel zu teuer sind, und viel zu lange brauchen würden.


Was kann man tun?

Die technischen Mittel und nötigen Änderungen im Lebensstil, um den Kampf gegen den Klimawandel und das Artensterben zu gewinnen, sind verfügbar und bekannt. Es geht um den Willen, sie umzusetzen.

Es geht um eine Mentalitätsfrage. Die demokratischen Institutionen sind nicht das Problem, das Problem sind die Entscheidungsträger, also die Wähler und die Politiker.

Frage nicht, was die Demokratie für dich tun kann. Frage, was du für die Demokratie tun kannst!

S.166 Mehr Demut wagen

Es würde helfen, wenn die Oberklasse / die liberalen Eliten / die akademische Klasse / die Bildungsbürger / die Mittelschicht / die Reichen echte soziale und finanzielle Zugeständnisse machen würden.
Das würde bei den "Anderen" mehr Bereitschaft zum Zuhören und Mitmach-Wohlwollen erzeugen.

S. 176 Klimageld

Klimaschutz und soziale Frage gehören zusammen, weil die Ärmeren mehr unter dem Klimawandel leiden, aber sehr wenig dazu beitragen: "Klimagerechtigkeit".

S. 181 Heuchelei

Die akademische Mittelschicht stößt leider überdurchschnittlich viel CO2 aus, gibt in der Gesellschaft (als Lehrer, Arbeitgeber, Arzt, Richter) den Ton an, und will dann die "Anderen" belehren. Das kommt nicht gut an.

Zitat S. 182 Eine umweltschonende Lebensweise  werde vor allem von jenen Gruppen gefordert, ... die sich teure Bio-Produkte leisten können.

S. 182 wer hat was verdient?

hat die akademische Mittelschicht ihre Privilegien (höheres Einkommen, mehr Prestige, größere Häuser, mehr Reisen) wirklich verdient? Es ist schwerer für ein Einwandererkind Lehrer zu werden, als für ein Akademikerkind Professor.

Rechtfertigt Talent und höhere Bildung wirklich höheres Einkommen?

Buch Michael Sandel: Talent ist in sich schon die Belohnung.

Lösung: die akademische Mittelschicht muss mehr Vorbild sein.

S. 234 Konsum und Demokratie waren bisher eng verknüpft. 

Der westliche Konsum war attraktiver als der kommunistische Sozialismus, und unter anderem deswegen wurde der Krieg der Systeme gewonnen.

Doch inzwischen zeigt China, dass man Konsum auch ohne Demokratie haben kann.

Der Konsum ist so übermächtig, dass er unseren Lebensgrundlagen und unserer demokratischen Werten schadet - der Erhalt des Konsumniveaus ist für viele Menschen wichtiger als Freiheit und Gerechtigkeit.

Zitat: Es gilt, Wohlstand und Zufriedenheit, Konsum und Glück neu zu kombinieren.

S.281

Eine moderne Regierung kann nur auf der Basis von wissenschaftlichen Einsichten agieren (Gesundheitspolitik, Verkehr, Bildung)

Das heißt nicht fehlerfreie Politik, sondern Politik, die reflektieren und Fehler korrigieren kann.

S. 281

Manchmal kann die Gesellschaft ziemlich schnell umdenken, z.B. Martin Luther Reformation, Ozonloch.

Das kann den Bürgern den Stolz der Selbstwirksamkeit zurückgeben.

Das drängendste Problem der westlichen Gesellschaften ist die Resignation, schwindender Glaube an die Zukunft und an die Selbstwirksamkeit, Zynismus.

S.299 Dunkle Energien blockieren uns: 

Wir verhalten uns wie Egoisten, obwohl wir das nicht sein wollen, wir fühlen uns hilflos, wir fühlen uns gerne von der Politik betrogen.

S. 305 ff Verdrängung ohne Ende

Wir wissen viel über die Klimakrise und tun wenig, müssen also unser schlechtes Gewissen verdrängen.

Keiner will jemand sein, dem sein Auto und seine Bequemlichkeit wichtiger als seine Kinder sind. Also wird der Zusammenhang verdrängt, damit man nicht als schlechte Person dasteht.

S. 308 Die Kosten von Zögerlichkeit explodieren nicht nur beim Klima, sondern auch beim Ukraine-Krieg, Nahost-Krieg.

S. 311 Flucht in Resignation kann auch ein bequemer Ausweg und eine Ausrede sein, nichts tun zu müssen.

S.314

Die Politik der Zumutungslosigkeit versperrt alle Arten von großen Lösungen, weil diese mit erheblichem Veränderungsschmerz verbunden sind.

Positive Beispiele, wie Lösungen auf einem Feld zu positiven Veränderungen auch auf anderen Feldern führen (Synergie)

Abkehr von fossilen Energien stoppt auch die Finanzierung von Diktaturen, was weniger Kireg und damit weniger Verteidigungsausgaben bedeutet. 

Weniger Klimaerwärmung ist auch gut für die Ökosysteme, was weniger Artensterben bedeutet.

Städte mit weniger Autos sind auch lebenswerter, gesünder, helfen gegen die Klimakrise.

Weniger Massentierhaltung bedeutet weniger Urwaldabholzung, d.h. weniger Gefahr von fremden Viren und Pandemien, gut gegen das Artensterben und fürs Klima.

Wiedervernässte Moore bedeutet weniger Rinder, weniger Methanausstoß, mehr Pflanzen für Bioenergie und mehr Platz für PV-Anlagen, mehr Lebensraum für Wildtiere.

Weniger Nutztiere bedeutet weniger Antibiotika, weniger Multiresistenzen.

S. 315

konservative Tugenden wie Anstand, Verantwortung; Bewahrung, Pflichtbewusstsein.

Preise sollen die ökologische Wahrheit sagen.





Das Bild ist übrigens von Dall-E :-) Dall-E 3 kann keine guten Gesichter, aber das erkennt man bei der kleinen Auflösung zum Glück nicht.


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